Heute ist unser Special Guest Gregor Fauma – Verhaltensforscher, Evolutionsbiologe, Universitätslektor an der Uni Wien und Krems, sowie Autor des Buches „Unter Affen: Warum das Büro ein Dschungel ist“ – er beschäftigt sich darin u.a. mit dem Thema Grüßen. Wir erfahren heute, warum das Grüßen für soziale Netzwerke selbst aus evolutionsbiologischer Sicht so wichtig ist.
Das ganze Interview können Sie sich als Podcast anhören oder hier ansehen:
Hier im Blog fasse ich für Sie die wichtigsten Punkte zusammen:
Grüßen is tatsächlich etwas, das thematisch unterschätzt wird – gerade beim Netzwerken. Bei Veranstaltungen, auf denen man flüchtig bekannte oder garnicht bekannte Menschen trifft, merkt man erst richtig, wie schwer es ist, möglicherweise richtig zu grüßen. Das ist für mich als Verhaltensbiologen ein ganz spannendes Thema, da ja nicht wir Menschen das Grüßen erfunden haben, wir führen dieses Ritual bloß fort – auch Tiere grüßen einander.
Bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, ist es so, dass im Rahmen einer Hierarchie der Rangniedrigere den Ranghöheren zuerst grüßt. Genauer gesagt macht er ein Grußangebot: Er signalisiert nonverbal, dass er gerne mit dem anderen in Kontakt treten würde. Der Ranghöhere kann sich dann entscheiden, ob er das Grußangebot annimmt oder ablehnt – schauen allerdings andere dabei zu, sollte er es auf jeden Fall annehmen – denn das strahlt soziale Kompetenz aus und Social Skills sind schließlich grundlegend, um einen hohen Rang einzunehmen – für’s Image sozusagen.
Wie es bei unseren direkten Vorfahren war – traditionellen Jäger und Sammler Kulturen, Steinzeitjägern oder auch bei den Neandertalern – kann man sich in etwa ansehen, in dem man Kulturen anschaut, die es jetzt noch gibt, in den hintersten Winkeln des Amazonas oder anderen Urwäldern des Planeten. Die leben heute noch in etwa so, wie wir vor 80 000 Jahren gelebt haben, also ungefähr auf Steinzeitlevel. Da ist es so, dass wenn zwei Clans aufeinandertreffen, wird jeweils ihr größter und stärkster Soldat nach vorne geschickt, der imponiert mit Muskelmasse, Körpergröße und den schönsten Waffen, er droht und zeigt, wie stark man doch ist, während hinter ihm ein kleines Mädchen steht, das geschmückt ist und einen Beschwichtigungstanz aufführt – so spielt sich Gruß also immer ab zwischen Imponieren und Beschwichtigung. Nun kann man sich wundern: „Seltsam, was die sich seinerzeit einfallen ließen im Busch.“ – de facto ist es aber so, dass es bei uns modernen Menschen nicht viel anders ist:
Wenn unser Bundespräsident irgendwo im Ausland aus dem Flugzeug steigt, muss er zuerst auch die Garde abgehen – die fremde Kultur präsentiert also ihre stärksten Soldaten, scharf bewaffnet – und am Ende des Weges stehen meist junge Mädchen, die Blumen oder andere Geschenke überreichen, um wieder zu versöhnen. Wir verwenden also auf höchster staatlicher Ebene immer noch dieses steinzeitliche Ritual.
„Wenn sich jemand nicht an unsere Rituale hält, gehört er nicht dazu.“
Gerade in großen Unternehmen, wo man nicht jeden Mitarbeiter kennt, kann die Frage „Soll man jetzt grüßen oder nicht?“ oft zu Spannungen führen. Deshalb hat Siemens in den 80er Jahren eine Grußordnung erlassen, nach welcher der in der Firmenhierarchie Niedrigere dem Ranghöheren das Grußangebot machen muss – das hat bis heute noch Gültigkeit. Ein anderer Fall, der mich sehr bewegt hat in letzter Zeit: Ich habe eine 11-jährige Tochter, die mit ihren Freunden in der Gruppe eigene Grußrituale hat, gewisse Bewegungsabläufe, wie es eben Kinder in dem Alter oft haben, und wer diesen Gruß nicht kennt, gehört nicht dazu. Jetzt war es aber tatsächlich auch so, dass sich eine Frau in Frankreich um die Staatsbürgerschaft bemüht hat, sie erfüllte alle Auflagen, heiratete einen Franzosen – und bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft hat sie das Grußritual verweigert, sie wollte nicht die Hand geben. Daraufhin hat die Mehrheitsgesellschaft beschlossen: Dann gehörst du nicht zu uns. Sie hat das dann geklagt, aber selbst der oberste Gerichtshof hat beschlossen: Wenn sich jemand nicht an unsere Rituale hält, gehört er nicht dazu. Hier sieht man, wie wichtig es einer Gesellschaft ist, dass gewisse Rituale eingehalten werden müssen, um zu signalisieren, dass man dazugehören will und dafür bereit ist, seinen Beitrag zu leisten.
Ja, nach wie vor wird das so gelebt. Es geht sogar noch viel mehr ins Detail rein: Wenn man in der politischen Kommunikation arbeitet, lernt man sehr schnell, dass man in einer Gruppe von Sozialdemokraten z.B. nicht „Grüß Gott“ sondern „Guten Tag“ sagt. Tut man das nicht, gehört man nicht dazu. Man erkennt auch einen Stadt-Land-Unterschied wenn es darum geht, Namen zu nennen: Am Land wird zuerst der Nachname genannt und dann der Vorname, in der Stadt ist das umgekehrt. Regional sind auch Vulgonamen und Hofnamen sehr geläufig.
Blog: Dresscode und Umgangsformen für einen guten ersten Eindruck
Ist es mir wichtig, von der Mehrheitsgesellschaft aufgenommen zu werden, dann werde ich zuerst aufmerksam zuhören, mir anschauen, wie die miteinander umgehen und mich anpassen. Wenn ich nicht der Typ Mensch bin, der mit dem Strom mitschwimmen möchte, sondern sich selbst treu bleiben will, kann ich natürlich mit meinem „Sie“ auffallen – die Frage ist, ob ich auffallen will, oder nicht. Wenn ich merke, hier tauscht keiner mehr Visitenkarten aus, weil man eh schon über die Email-Signatur oder Whatsapp alles hat, dann lass ich vielleicht meine auch eingesteckt. Ich kann aus dem heraus keine Empfehlung geben, das sollte jedes Individuum für sich selbst entscheiden, was es für richtig empfindet.
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Wenn Sie aber auf einer Netzwerkveranstaltung unbedingt punkten müssen oder diese und jene Person kennenlernen müssen, dann ist es wahrscheinlich keine schlechte Idee zunächst zu schauen, was die anderen machen, wie die aufeinander zugehen, welchen Körperabstand sie halten, ob sie sich beim Reden berühren, ob das Du ein förmliches oder persönliches ist (man kann auch „du“ und den Nachnamen verwenden) und kann sich dann natürlich anpassen, um das Gefühl zu bekommen, dazuzugehören. Wenn andere sehen, dass ich bereit bin, dazugehören zu wollen, werde ich möglicherweise auch an die Menschen oder Informationen herankommen, deretwegen ich dort bin.
„Dazugehören ist für uns als soziale Wesen immens wichtig.“
Das kommt sehr darauf an, wie ein Unternehmen geführt ist. Gibt es eine stark strukturierte Hierarchie, dann haben wir tatsächlich das Verhalten wie am Affenhügel: Ober- und Unterschicht, der Untere wartet darauf, einen Auftrag zu bekommen und erfüllt ihn brav. Er wird aber auch immer der sein, der zuerst grüßt. Deswegen ist es vermutlich auch das Vernünftigste, wenn man es einmal anspricht, wie man miteinander beim Grüßen umgeht. Andere Unternehmen sind sehr flach organisiert, vor allem wo jüngere Leute arbeiten, die digitale Revolution also bereits gelebt wird. Dort ist man per Du, es geht weniger um Hierarchien als um Zuständigkeiten, wer macht was und macht er es gut. Dort hört man als Gruß schnell einmal „Hallo!“ oder „Servus!“. Das verliert an Bedeutung weil die Hierarchie wegfällt. Es geht dann nicht mehr darum, wer wem was anschaffen kann, sonder wer die besseren Computeralgorithmen schreibt oder wer die bessere Idee innerhalb des Start Ups hat – und da hört man dann zu wenn der spricht.
Hier gibt es natürlich Empfehlungen an die Führungskräfte: Wenn es schon so ist, dass der Ranghöhere darauf warten kann, dass ihn der Rangniedere grüßt, so kann auch der Ranghöhere ein schönes Zeichen setzen und mit dem Grüßen zuvorkommen. Das signalisiert ein entgegenkommendes Miteinander – wenn man diese Art von Führung leben will. Es gibt auch Führungskräfte, die jeden spüren lassen wollen, dass sie in der Hierarchie oberhalb stehen und deshalb nicht grüßen bzw. darauf warten, gegrüßt zu werden oder sich gar beschweren, wenn sie von jemandem nicht gegrüßt werden.
Ich glaube nicht, dass wir uns von der Steinzeit entfernen, dafür braucht es viel mehr Selbsterfahrung 🙂 Sondern was wir eher sehen, ist dass wenn etwas nicht klappt, wenn es Friktionen gibt, dann brechen diese alten Muster wieder durch: Dass jemand auf seine alten Vorrechte beharrt, z.B. meint, ihm steht der bessere Rechner zu wenn das Büro übersiedelt oder er das schönere Zimmer, den besseren Sitzplatz bekommt. Woran Unternehmen letztendlich scheitern sind alte Mechanismen wie Macht und Dominanz. Das zeigt sich, in dem man sich als Führungskraft fragt: Sind die Untergeordneten bereit, sich mir unterzuordnen oder mach ich das, was ich in der Früh angeschafft habe am Abend selber? Dafür braucht es Social Skills, da muss man einfach der Typ Mensch sein, um als Führungskraft zu bestehen, und der braucht einen wendigen, schnellen Geist – meistens bekommt man den durch Erfahrung – und eine soziale Intelligenz, um mit unterschiedlichen Charakteren umgehen zu können. Eine Hauptaufgabe der Führungskraft ist, dafür zu sorgen, dass die Leute in Ruhe und gut dem nachkommen können, was in ihrer Jobbeschreibung steht. Wenn Führungskräfte das nicht tun, werden sie nicht mehr lange Führungskraft sein.
„Die wichtigste Aufgabe des Führungsaffen ist es, für Frieden zu sorgen.“
Fängt jemand an, im Kleinen Unternehmenspolitik zu machen, rumzumeckern, zu maulen, Kollegen auszurichten, dann lauern die anderen darauf, wie ihr Chef oder ihre Chefin reagiert: Greift die ein, zieht sie diese „Laus“ wirklich raus und sorgt für Frieden? Oder ignoriert sie es weil sie schwach ist und meint: „Ach, die sind kompetent, die werden sich das schon richten.“ – Nein, die richten sich das nicht, die warten darauf, dass die Führungskraft eingreift. Hier sieht man, dass so Kleinigkeiten, die mit dem Gruß beginnen, bis hin zur Karriere führen: Bleibt jemand im Unternehmen oder nicht, der beginnt Unternehmenspolitik zu machen? Und Führungskräfte, die Führungsanspruch haben und das zeigen wollen, sollen das mit ihrem Grußverhalten zeigen, durch Zuvorkommen, durch Bestätigen ihrer sozialen Intelligenz, durch ihre Bereitschaft, für andere da zu sein und nicht darauf bestehen, dass andere auf sie zukommen und ihnen die Hand entgegenstrecken.
Auch wenn unsere Grußrituale immer noch sehr ähnlich jenen der Steinzeit sind, werden alte hierarchische Strukturen in Unternehmen langfristig nicht überleben können. Der Gruß selbst ist jedoch für soziale Zugehörigkeit ein immens wichtiges Signale, das Akzeptanz oder Ausschluss zu beschwören vermag. Die Faustregel lautet: Will ich dazugehören, werde ich mich anpassen. Trotzdem ist es wichtig, sich selbst treu zu bleiben und bei passender Gelegenheit – vor allem als Führungskraft – ein Zeichen zu setzen.
Links:
Homepage von Gregor Fauma: www.gregorfauma.com
Gregor Faumas YouTube-Kanal: https://bit.ly/2iz8LjL
Podcast von Bayern3: Hier klicken.
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